Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis.

Lesung & Gespräch mit Charlotte Wiedemann zu Ihrem neuen Buch

Charlotte Wiedemann: Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis. Propyläen, Berlin 2022, 288 S.

Umschlagtext:

Orientierung und Ermutigung zum Handeln: Wege zu einer neuen Gedenkkultur In einem Moment, in dem hitzige Feuilleton-Debatten den Eindruck erwecken, es ginge um einen kurzlebigen Positionsstreit, stellt Charlotte Wiedemann klar: Was wir erleben, ist eine Zeitenwende – wir müssen unsere Haltung zur deutschen Geschichte aus einer kosmopolitischen Perspektive neu begründen. Das heißt: nicht-europäische, nicht-westliche Sichtweisen ebenso einbeziehen wie die Ansprüche einer jungen, diversen Generation in Deutschland. Wie lässt sich in Zukunft an den Holocaust und an die kolonialen Verbrechen erinnern? Globalhistorisch fundiert und persönlich zugleich denkt Charlotte Wiedemann die Idee des Antifaschismus neu und entwirft ein empathisches Gedenkkonzept für unsere Zeit.

Rezensionsnotiz / Frankfurter Rundschau, 23.06.2022

Klar und lesbar findet Rezensent Micha Brumlik Charlotte Wiedemanns Versuch, den aus der Debatte über koloniale Verbrechen und den Holocaust erwachsenen Feindschaften ein umfassendes Verstehen entgegenzusetzen. Dem Buch traut Brumlik zu, verhärtete Fronten zu lockern, weil Wiedemann nicht nur fragt, welche Opfer uns warum näher sind als andere, sondern auch die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika ins Gedächtnis ruft und die Möglichkeit erwägt, ausgehend von den Gräueltaten an Afrikanern und Juden zu einem weltumspannenden empathischen Gedenken zu gelangen. Packend auch, wie Wiedemann an die Befreiung jüdischer KZ-Häftlinge durch schwarze GIs erinnert, findet Brumlik.

Deutschlandfunk-Kultur:

Gerät die Erinnerung an den Holocaust und die durch die Deutschen ermordeten Juden unter Druck? Charlotte Wiedemann hat zur Debatte um globales Gedenken ein vorsichtiges, fragendes Buch geschrieben. Sie wirbt für eine empathische Erinnerungskultur.

Die vielleicht brenzligste Frage, die Charlotte Wiedemann in ihrem Buch „Den Schmerz der Anderen begreifen“ stellt, lautet: „Gelten aus deutscher Perspektive womöglich nur die jüdischen Opfer als ein gleichwertiges Gegenüber?“ Allgemeiner formuliert: Welchen Toten, welchen historischen Massenverbrechen schenken wir unsere Empathie? Mit dieser Frage im Hinterkopf bedenkt sie unterschiedliche Katastrophen, wie sie über die Erinnerung in die Gegenwart ragen. Verschiedene Episoden kolonialer Herrschaft kommen vor, darunter die rund eine Million Tote, die das Deutsche Reich in Afrika hinterlassen hat. Der Genozid im Kambodscha wird als „Menschheitsverbrechen im schlecht beleuchteten Hinterhof der Weltgeschichte“ charakterisiert. Im westfälischen Stukenbrock, wo zigtausende sowjetische Kriegsgefangene den Tod gefunden haben, vollzieht sie die Entstehung von Erinnerungskultur nach. Sie bereist das Baltikum, wo sie Erinnerungsstätten besucht und mit einem Holocaust-Überlebenden spricht. Und vieles mehr. „Den Schmerz der Anderen begreifen“ gibt sich nicht mit Erinnerungsroutinen zufrieden.

Autorinnenporträt:

Charlotte Wiedemann, geboren 1954, ist freie Auslandsreporterin, ihre Beiträge erschienen u.a. in Geo, Die Zeit, Neue Zürcher Zeitung, Merian und Le Monde Diplomatique. Sie gehört dem Wissenschaftlichen Beirat des Zentrums Moderner Orient in Berlin an und hält Vorträge zu interkulturellen Themen und zur Erinnerungskultur. Sie ist Kolumnistin der taz und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt erschien Der lange Abschied von der weißen Dominanz (2019).

Eintritt: 5,- €

In Kooperation mit der GEW Schaumburg, Alte Polizei Stadthagen und der Ehemaligen Synagoge Stadthagen.

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