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Anne Weber stellt Werk über Annette Beaumanoir vor

Verräterin, Patriotin oder bloß Rabenmutter?

Am 17.2.22 stellte die Autorin Anne Weber ihr Buch Annette, ein Heldinnenepos“ im Rahmen einer Lesung in Stadthagen in der Alten Polizei dem Publikum vor. Die Veranstaltung war trotz Pandemie-Bedingungen gut besucht. Für ihr Werk über das Leben der 1923 geborenen Französin Annette Beaumanoir erhielt sie 2020 den Deutschen Buchpreis.

In den Schaumburger Nachrichten berichtet Volkmar Heuer-Strathmann:

Verräterin, Patriotin oder bloß Rabenmutter? Anne Weber stellt Werk über Annette Beaumanoir vor

Ein Schmähwort wie „Rabenmutter“ kommt Autorin Anne Weber bei der Lesung aus „Annette, ein Heldinnenepos“ in Stadthagen nur schwer über die Lippen. Aber es gebe diese Lesart. Für ihr Werk über das Leben der 1923 geborenen Französin Annette Beaumanoir erhielt sie 2020 den Deutschen Buchpreis.

„Ist es denn Liebe, die den Revolutionär macht, ist es Hass?“ Das Leben der 1923 geborenen Französin Annette Beaumanoir gibt auf ganz unterschiedliche Weise Anlass, über solche politisch-ethischen Grundsatzfragen nachzudenken.

Die Autorin Anne Weber las auf Einladung der GEW Schaumburg, der IG Metall und des Fördervereins Ehemalige Synagoge im gut besuchten Saal der Alten Polizei aus ihrem Werk „Annette, ein Heldinnenepos“ und vermochte es, durch sehr geschickt ausgewählte und leicht rhythmisiert dargebotene Passagen großes Interesse zu wecken. Ein Schmähwort wie „Rabenmutter“ kam der Autorin nur wie gegen einen inneren Widerstand über die Lippen. Aber es gebe diese Lesart. Leider. Eine Passage aus dem Werk, für das die Autorin 2020 den Deutschen Buchpreis erhielt, lässt besonders klar erkennen, dass sie selbst einem Heldenbegriff, wie er im Sozialistischen Realismus gepflegt wurde, sehr kritisch gegenübersteht.

Die junge Beaumanoir wird für sie da zur Heldin, als sie nicht nur den Mut hat, in der Résistance gegen die NS-Besatzer aktiv zu werden, sondern darüber hinaus auch zur KP Distanz wahrt und eigenmächtig einer jüdischen Familie hilft. Webers Erzählerin weiß: „Keine Einzelaktionen, hatte sie der Partei geschworen.“ Das jüdische Baby wird vorerst gerettet. Annette ist selbst schwanger. Die eigene Leibesfrucht gibt sie verloren. Man ist sich einig. Viel erfährt man nicht, auch nicht bei der Beaumanoir, deren Erinnerungen seit 2019 in einer neuen überaus gelungenen Übersetzung vorliegen. Und es lässt einen auch im „Original“ kaum los, dieses Leben, gerade weil „der kleine Moment, der eine Schritt“, wie Weber sagt, plötzlich das Wichtigste ist und eben nicht allein die Wegmarken, Bekundungen und Jahreszahlen der Weltgeschichte.

Von der Widerstandskämpferin zur Verräterin am Volk der Franzosen? Von der Widerstandskämpferin zur Verräterin am Volk der Franzosen? So schlicht ließe sich auch fragen, war die Beaumanoir doch aktive Unterstützerin der algerischen Befreiungsbewegung, die vor bewaffneten Anschlägen nicht zurückschreckte. Verhaftung, Verurteilung, Inhaftierung, Flucht – Foto: SN / Volkmar Heuer-Strathmannfern von ihren Kindern, dem aktuellen Partner und den eigenen Eltern lebt sie in Tunesien und kämpft weiter. Nun besonders als Ärztin, nun eben in Nordafrika primär unter Arabern und Moslems. Heute bekäme sie in Algerien übrigens kein Visum. Warum, weiß die Leserschaft. Aus Frankreich, wo Weber (gerne) lebt, wusste sie auf Nachfrage aus dem Auditorium zu berichten, dass ihr Bild von Besatzungszeit und Résistance dort doch zu anderen Reaktionen führt als ihre überaus kritischen Rückbezüge auf die Kolonialzeit und das vernachlässigte Erbe der Grande Nation.

Anne Weber, die ihre inzwischen mit 98 Jahren recht betagte Protagonistin persönlich kennenlernte, entwickelt anhand von Texten etwa von dem in Algerien geborenen Existenzialisten Albert Camus gewisse Kernfragen, die auch in Deutschland nicht unbekannt sind. Von Terrorismus ist die Rede. An Tugendterror darf man denken. An Straßenkämpfe und Redeschlachten.

Der oft lakonisch wirkenden Darstellung steht der Pulsschlag des prallen Lebens gegenüber, ob unter der spießigen Leselampe daheim oder beim atemlosen Lauschen auf jedes einzelne Wort in Stadthagens Kulturhaus. Der Applaus des Auditoriums galt selbstredend auch dem Mut der Dichterin, die sich nach mannhafter Ermutigung von GEW-Chef Friedrich Lenz am Telefon trotz wild aufflackernder Bedenken doch per Flugzeug auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte. In der FAZ hatte man schon morgens ihre Verse aus dem Homeoffice lesen dürfen und gestaunt über diese Art Offenherzigkeit – gleich im ersten Satz: „Ich sehne mich nach euch.“ Wer nicht?

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