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Ausgezeichneter Lernort Demokratiebildung

Der Kultusminister, Herr Grant Hendrik Tonne, hat am 29. November vor einem kleinen Kreis von Besuchern die Ehemalige Synagoge Stadthagen als Lernort Demokratiebildung ausgezeichnet.

Den Beitrag unseres Vorsitzenden können Sie hier nachlesen:

 

Sehr geehrter Herr Minister, liebe Gäste,

dem Förderverein gehören mittlerweile mehr als 160 Mitglieder, darunter zahlreiche Bildungsinstitutionen der Stadt, Kirchengemeinden und viele engagierte Einzelpersonen, an. Die gesamte Arbeit des Vereins, die im Wesentlichen auf vier Säulen beruht, erfolgt ehrenamtlich. Ich hab mal etwas recherchiert und ich glaube, von den ausgezeichneten außerschulischen Lernorten sind wir der einzige, bei dem das der Fall ist. Alle anderen haben hauptamtliche Hilfe.

Unsere Arbeit, kann man sagen, beruht auf vier Säulen.

Die erste Säule besteht in der Arbeit mit und in dem Gebäude der ehemaligen Synagoge. Hierzu zählt vor allem die Dokumentation der Verbrechen und das Gedenken an die Opfer. So finden etwa am 9.11., dem Jahrestag der Reichspogromnacht, oder am 27.1., dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, regelmäßig Veranstaltungen statt. Im Rahmen der Dokumentation steht z.B., Herr Reinartz-Francke hat es eben schon erwähnt, eine Datenbank mit den Schicksalen verfolgter Menschen zur Verfügung. Wichtig für das Gebäude ist auch die Bildungsfunktion: Besuchergruppen können das Gebäude im Rahmen von Führungen kennen lernen und etwas über die Geschichte jüdischer Menschen in Stadthagen und Schaumburg erfahren, aber natürlich auch über Aspekte jüdischer Religion. Kaum jemand wird wissen, dass Stadthagen einen der bedeutendsten jüdischen Gelehrten im frühen 18. Jh. beherbergte, Jobst Samson, der sich nach dem Ort seines langen Wirkens „Rabbi Stadthagen“ nannte. Schüler- und Jugendgruppen nutzen das Gebäude für Workshops zu unterschiedlichen Themen wie Antisemitismus, Rechtsradikalismus heute, Widerstand gegen das NS-Regime, Regionalgeschichte, Demokratiebildung, Menschenrechtsverletzungen, autoritäre Regime etc. Besonders erwähnenswert ist hier sicherlich das Argumentationstraining gegen Menschenfeindlichkeit. Ebenso finden hier Lehrerfortbildungen statt. Öffentliche Einzelvorträge und Lesungen ergänzen das Repertoire. Mit kulturellen Veranstaltungen wie kleinen Konzerten, szenischen Auftritten und Kunstausstellungen bietet sich die Gelegenheit, die besondere Ausstrahlung der Synagoge zu nutzen. Da die Synagoge recht klein ist, finden Veranstaltungen mit größerem Publikum häufig andernorts statt. Die Zollhausboys aus Bremen waren z.B. vor kurzem in der IGS.

Die zweite Säule bilden Aktivitäten im Bereich der lokalen bzw. regionalen Erinnerungskultur. Dazu gehört die Verlegung der Stolpersteine in Stadthagen, die derzeit auch über eine App für Stadtrundgänge erschlossen werden und die Entwicklung von Radtouren durch das Schaumburger Land zu Stätten der Erinnerung. Zu nennen ist hier auch die einzigartige Aktion „Fünf Minuten für sechs Millionen“, bei der am 27.Januar hunderte Schülerinnen und Schüler der Stadthäger Schulen in der Innenstadt unterwegs sind, an den Stolpersteinen der Verfolgten erinnern und eine beeindruckende, selbst gestaltete Gedenkveranstaltung in der Hauptkirche St. Martini durchführen. Zwei Ausstelllungen, zu Opfern des NS-Regimes in Schaumburg und zu NS-Tätern sind erstellt bzw. kurz vor der Fertigstellung und können ausgeliehen werden. Einige Ausstellungsbanner können Sie hier sehen. Die Arbeiten und Publikationen zu den jüdischen Friedhöfen Stadthagens gehören ebenfalls in diese Kategorie.

Eine dritte Säule der Bildungs- und Erinnerungsarbeit stellen Exkursionen und Studienfahrten dar. Sie führen in Gedenkstätten und -orte in der Nähe, wie Ahlem, Moringen, Bergen-Belsen etc., oder in die Ferne, wie u.a. Auschwitz, Riga, Jerusalem/Yad Vashem, Lemberg, Warschau. Sie sind von dem Gedanken geleitet, dass der Besuch der authentischen Orte das Begreifen des Unbegreiflichen etwas verständlicher macht. Diese Fahrten werden mit zahlreichen Kooperationspartnern realisiert und gehören z.B. auch zum festen Angebot einiger Schulen im Landkreis oder des Studienseminars Stadthagen, mit dem wir jährlich eine Fahrt nach Auschwitz und Krakau für angehende Lehrkräfte durchführen – getreu dem Zitat von Adorno, dass es oberstes Ziel aller Erziehung sei, dass sich Auschwitz oder Ähnliches nicht wiederholen dürfe.

Eine vierte Säule bildet die Projektarbeit. Dazu zählen z.B. der 2019 erstmalig realisierte Schreibwettbewerb „Spuren schreiben“, bei dem die Schulen kreisweit aufgefordert wurden, sich literarisch, kreativ, experimentell mit historischen und gegenwärtigen Schicksalen von Verfolgung auseinander zu setzen. Mehr als 180 Beiträge gingen dabei ein. Eine Jury trifft eine Auswahl der besten Beiträge, von denen einige auch publiziert wurden. Das kleine Buch mit den Beiträgen von Schülerinnen und Schülern möchte ich Ihnen gern überreichen. ... Für das nächste Jahr gehen wir wieder an den Start. Seit 2020 hat der Förderverein auch im Bereich des Theaters Anstöße zu einem „Theater der Verfolgung“ gegeben, bei dem sich z.B. die IGS Obernkirchen mit einer szenischen Lesung und das Ratsgymnasium Stadthagen mit einem binationalen Theaterstück mit der polnischen Partnerschule in Slupca beteiligen. Soweit ich weiß, ist das die einzige binationale Theaterarbeit zwischen einer bundesdeutschen und einer polnischen Schule, die regelmäßig stattfindet. Die nieders. Gedenkstättenstiftung fördert uns hier mit einer namhaften Summe. Die Pandemie hat uns leider ausgebremst, aber immerhin wurden zwei Theaterstücke dafür geschrieben und einiges daraus wurde auch praktisch umgesetzt. Der Autor der Stücke „Vogelschiss und Fliegenklatsche“ und „Haltestelle Izbica“, Herr Heuer-Strathmann, ist übrigens anwesend und schreibt fleißig mit für den Zeitungsbericht. Wir arbeiten bei unseren Theaterproduktionen auch mit musikalischer Unterstützung und eigenen Kompositionen. Damit Sie sich einen Eindruck von der Qualität verschaffen können, bitte ich meinen Kollegen Werner Peter kurz die Technik anzustellen. Sie hören „Die Knochenmühle von Chelmno“.

In den Sommerferien bekam ich eine kleinen Anfrage von der Nieders. Gedenkstättenstiftung nach „Lehrerstunden“; das Kultusministerium hatte sie wohl beauftragt, den Bedarf zu ermitteln. Ich habe natürlich sofort einen Antrag auf 5 Stunden pro Woche gestellt und war voller Hoffnung, dass wir zumindest diese kleine Unterstützung bekommen, denn die brauchen wir dringend. Seitdem hab ich nichts mehr davon gehört. Da trifft es sich gut, Herr Minister, dass Sie heute hier sind und sich von unseren ehrenamtlichen Aktivitäten selbst ein Bild machen können. Wir würden uns wirklich sehr freuen, wenn Sie uns dabei unterstützen könnten und die 5 Lehrer:innenstunden zur Verfügung stellen können. (Wenn es hilfreich ist, dann kann ich Ihnen den damals gestellten Antrag auch gern noch einmal mitgeben…) Das würde auch die Kooperation mit den Stadthäger und Schaumburger Schulen erleichtern. Hinsichtlich der Kooperationen können wir uns auch vorstellen, diese etwas verbindlicher zu gestalten, z.B. in Form von Vereinbarungen zwischen jeweiliger Schule und Förderverein Synagoge …

Die Synagoge ist von einem vergessenen und entwürdigten Gebäude zu einem öffentlichen und offenen Ort des Erinnerns und der Auseinandersetzung mit der Lokal- und Regionalgeschichte geworden. Sie lebt vom Engagement der Vereinsmitglieder und der Stadtgesellschaft. Das Mindeste, was wir den Verfolgten des NS-Regimes zukommen lassen können und sollten, ist unsere empathische Erinnerung und das Eintreten für die unbedingte Geltung der Menschenrechte in einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft. Die Auszeichnung heute ehrt uns – vielen Dank! Andreas Kraus

Berichterstattung der Schaumburger Nachrichten

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