Fachkräfteaustausch der Niedersächsischen Gedenkstätten mit den Gedenkstätten in der Region Lublin
Die niedersächsische Gedenkstättenstiftung hat diesen Austausch organisiert. Von der ehemaligen Synagoge konnte Lena Sebening teilnehmen. Für den Besuch in Polen war es besonders interessant die Arbeit in der Gedenkstätte Majdanek, sowie in Belczec und Sobibor kennen zu lernen.
Die Region ist eben auch durch die Arbeit der regionalen Gedenkstätten für Studienreisen sehr interessant und empfehlenswert.
Lena hat für uns einen Bericht geschrieben, in dem sie ihre Eindrücke und auch hilfreiche Hinweise zusammengefasst hat.
Fachkräfteaustausch der Niedersächsischen Gedenkstätten mit den Gedenkstätten in der Region Lublin
Die niedersächsische Gedenkstättenlandschaft ist sehr vielfältig und vermittelt unterschiedliche Aspekte der NS-Geschichte an ganz unterschiedlichen Orten: von der Propaganda (z.B. Bückeberg) über die „Euthanasie“-Verbrechen (z.B. Lüneburg) bis zum Lagersystem mit Konzentrations-, Arbeits- und Erziehungslager, Zwangsarbeit und Gefängnissen usw. (Bergen-Belsen, Moringen, Liebenau, Osnabrück etc.). Hinzu kommen die Einrichtungen, die historisch-politische Bildung vor Ort vermitteln (z.B. Zeitzentrum Hannover) - dazu gehört auch die ehemalige Synagoge Stadthagen.
Die Verbrechen der Nationalsozialisten im Deutschen Reich ab 1933, die Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, die Verschleppungen und Ermordungen in Konzentrationslagern, T4, Zwangsarbeit, Folter und Willkür - all dies lässt sich allein in Niedersachsen dokumentieren. Der eigentliche Holocaust begann jedoch in Osteuropa, in den von den Deutschen besetzten Gebieten, allen voran Polen. Dort wurde die Infrastruktur geschaffen, die zur systematischen Vernichtung der Juden gedacht war: die Massenerschießungen durch die s.g. Einsatzgruppen und Vergasungen in den Vernichtungslagern. Die Opfer der Vernichtungslager wurden aus ganz Europa mit Zügen in den Osten deportiert, auch aus Niedersachsen.
Die „Aktion Reinhardt“ stellte den Höhepunkt des Völkermords an den Juden dar: von Juli 1942 bis Oktober 1943 wurden bis zu 1,8 Millionen Juden im besetzen Generalgouvernement in den drei Vernichtungslagern Belzec, Sobibór und Treblinka ermordet.
Dimensionen, die unvorstellbar erscheinen - daher um so wichtiger sind, in Erinnerung zu bleiben.
Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (https://www.stiftung-ng.de/de/) organisierte mit den Gedenkstätten in der Region Lublin einen Fachaustausch mit gegenseitigem Besuch. Die polnischen Kolleg:innen waren im Sommer diesen Jahres in Niedersachsen und haben viele Gedenk- und Lernorte kennengelernt und sich mit der pädagogischen Arbeit und der Ausstellungskonzeption vertraut gemacht. Im September stand der Gegenbesuch an - und als Teil der Niedersächsischen Gedenklandschaft wurde auch der Förderverein der ehemaligen Synagoge angesprochen, sich der Delegation anzuschließen.
Vom 10.-15. September fuhren daher 15 Leiter:innen, pädagogische und wissenschaftliche Fachkräfte niedersächsischer Gedenkorte nach Lublin um die historischen Orte, die Gedenkstätten und dort wirkenden Menschen besser kennenzulernen.
Der Fachaustausch begann in Lublin, an dessen Stadtrand das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek (früher K.L. Lublin) errichtet wurde. Die dort befindliche Gedenkstätte (https://www.majdanek.eu/en#) bietet Schulklassen, Forschenden, Besucher:innen und Multiplikator:innen viele Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit dem historischen Ort. Die Verflechtungen der Lagerorganisation im besetzen Generalgouvernement mit der Stadt Lublin wurden uns bei einer Stadtführung mit dem Schwerpunkt der Kriegsjahre verdeutlicht.
Am darauffolgenden Tag wurde die Gedenkstätte Belzec (https://www.belzec.eu/en) besichtigt, dem ersten Vernichtungslager, in dem die Nazis ca. 470.000 Menschen innerhalb von 9 Monaten ermordet haben. Die Deportationen in die Lager wurden durch ein dichtes Netz an Transitlagern, Ghettos und Deportationsbahnhöfen ermöglicht. Der Ort Izbica war bis zur deutschen Besatzung ein kleines Schtetl, d.h. der Anteil der jüdischen Bevölkerung war sehr hoch. Die Nazis machten aus Izbica ein Transit-Ghetto, in dem für die Vernichtungslager vorgesehene Juden auf engstem Raum gepfercht auf ihre Deportation warten mussten. Nach dem Krieg war die Stadt entvölkert, heute erinnert wenig noch an die Zeit des Ghettos.
Der dritte Tag des Fachaustauschs führte nah an die ukrainische Grenze: Sobibór. Die Gedenkstätte (https://www.sobibor-memorial.eu/en ) dort ist erst jüngst neu eröffnet worden und stellt die etwa 180.000 Opfer ins Zentrum des Gedenkortes und Museums. Die perfide Systematik des Mordens wird an diesem Ort sichtbar, innerhalb von 2 Stunden nach Ankunft waren die Opfer tot. Die Spuren der Verbrechen versuchten die Nazis zu beseitigen: die Gaskammern wurden gesprengt und über der Asche der Ermordeten wurden Bäume gepflanzt. Erst 2014 fanden umfangreiche archäologische Untersuchungen auf dem Gelände statt.
Das Nebeneinander der fanatischen Ideologie der Nazis, die zur Ermordung so vieler Menschen führte, und den Spuren jüdischer Kultur und Religion war mitunter schwer zu ertragen. In den Städten Zamo?? und W?odawa stehen die restaurierten Synagogen stellvertretend für den Verlust an Leben und Kultur.
Bevor der letzte Tag zur Gedenkstätte Majdanjek führte, wurde der Ort Trawniki besucht. Neben einem Kriegs- und Zwangsarbeitslager, wurde auf dem Gelände einer früheren Zuckerfabrik ein SS-Ausbildungslager errichtet. Die nichtdeutschen Absolventen der Ausbildung wurden Trawniki-Männer oder Trawnikis genannt und wurden im Kampf gegen Partisanen und v.a. in den Mordaktionen im Generalgouvernement eingesetzt und hatten damit einen großen Anteil an der Umsetzung der „Aktion Reinhardt“. Bis zu 5.000 Handlanger der SS kollaborierten mitunter bereitwillig, andere versuchten sich durch Flucht diesem Zwang zum Morden zu entziehen.
Tag 4 stand im Zeichen des Austauschs der Gedenkstättenfachkräfte. Nach einer gemeinsamen Gedenkzeremonie wurde besprochen und geplant, welche Wege der Zusammenarbeit in Zukunft intensiviert und gepflegt werden können.
Der Direktor des Museums Majdanek Tomasz Kranz gab der deutschen Delegation den Appell mit, die Bedeutung der Orte in den niedersächsischen Einrichtungen deutlich zu machen und die Zusammenarbeit zu intensivieren. Adorno schrieb von der Erziehung nach Auschwitz, nicht von der Erziehung nach dem Holocaust. Auschwitz ist zum Symbol geworden, das es auch immer bleiben muss. Damit hinter dieser Chiffre jedoch die Komplexität, Dimension und Systematik des Holocaust nicht in dessen Schatten steht, müssen die Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ stärker in den Fokus der Geschichtsvermittlung und Erinnerungskultur rücken.
Ein großer Dank gilt der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten und den Gedenkstätten Majdanek, Belzec und Sobibór, die diesen Austausch ermöglicht haben. Haben Sie Interesse, mehr über diese Ort zu Erfahren und/oder eine Exkursion mit Ihrer Klasse zu planen, sprechen Sie mich gerne an: Bildungsreferentin Dr. Lena Sebening an: didaktik@stadthagen-synagoge.de
Weiterführende Informationen zum Thema:
Beitrag im Deutschlandfunk von Barbara Behrendt vom 16.03.2022: Umkämpfte Erinnerung, vergessene Orte. Das Gedenken an die Opfer der „Aktion Reinhardt“: https://www.deutschlandfunk.de/aktion-reinhardt-gedenken-100.html
Podcast in 5 Teilen von 2022: Holocaust in Polen. Die "Aktion Reinhardt". Täter, (Über)leben, Erinnerung:
https://www.radio.de/podcast/holocaust-in-polen-die-aktion-reinhardt-tater-uber-leben-erinnerung3
Video zu den Spuren der „Aktion Reinhardt“ in Lublin, erstellt von der Gedenkstätte Majdanjek: https://www.youtube.com/watch?v=bCavU59q3T4 (englisch)
Lehnstädt, Stephan/ Traba, Robert (2019) (Hrsg.): Die „Aktion Reinhardt“. Geschichte und Gedenken.
Lehnstädt, Stephan (2023): Der Kern des Holocaust. Belzec, Sobibor, Treblinka und die Aktion Reinhardt.
Libionka, Dariusz (2021): Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement.
Sandkühler, Thomas (2020): Das Fußvolk der „Endlösung“. Nichtdeutsche Täter und die europäische Dimension des Völkermords. „Aktion Reinhardt“: die Rolle der „Trawniki-Männer“ und ukrainische Hilfspolizisten
Bilder vom Austausch










