Neues SK-Tours Bulletin zur aktuellen Lage
SK-Tours - unser langjähriger Partner für Studienreisen nach Israel – hat ein neues Bulletin herausgegeben. Der aktuelle Konflikt - gerade auch mit Blick auf den Iran - ist diesmal das Thema. Unsere Partner gehen sehr sachlich und kritisch mit der Lage um. Es ist ein sehr lesenswertes Statement entstanden. Wir danken den Autoren für ihre Verstehenshiilfe und ihre klare Positionierung.
Der Krieg mit dem Iran: Zur Komplexität des Nahen Ostens nach dem 7. Oktober
Liebe Freunde und Partner!
Sooo komplex, der Nahe Osten!
Und sooo viel ist sicherlich schon über die vergangenen Tage und Wochen zu der Konfrontation mit der Islamischen Republik Iran gesagt und geschrieben worden, und noch viel mehr zu dem so unsäglichen Krieg in Gaza.
Dabei wäre es jetzt sooo schön, selbst eine klare Meinung in die eine oder andere Richtung zu haben und anbieten zu können, aber – „it’s complicated“. Mein Freund, Kollege und Partner Gedi Hampe hat eine Reihe von Gedanken entwickelt, sich der Komplexität der aktuellen Themen Völkerrecht und Schwarz-Weiß-Diskurs zumindest anzunähern.
In dem angehängten SK-Bulletin beschränken wir uns auf eine regionale Betrachtung, ein darüberhinaus und zu Israel selbst hätte den Rahmen gesprengt. Das werden wir in einem nachfolgenden Bulletin zu leisten versuchen, wobei besonders die schillernde Gestalt des israelischen Ministerpräsidenten im Mittelpunkt stehen wird.
Hinter jeder Krise steht bekanntlich auch eine Chance – wenn wir sie wahrnehmen. In einem solchen Sinne versuchen wir, auch ein paar optimistische Töne anzuschlagen. Denn die Vorstellung von Hoffnung und einer besseren Welt kommt aus dem Heiligen Land!
In Verbunndenheit,
Ihr/euer SK-Team / von www.sktours.net
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Der Krieg mit dem Iran: Zur Komplexität des Nahen Ostens nach dem 7. Oktober
Seit dem 7. Oktober 2023 ist Israel ein anderes Land.
Das Massaker der Hamas, bei dem über 1.200 Menschen ermordet und Hunderte entführt wurden, die Angriffe der Hisbollah, Raketen aus dem Jemen, dem Irak und Iran haben in Israel das Gefühl einer unmittelbar existenziellen Bedrohung verstärkt und eine breite Mehrheit der israelischen Bevölkerung davon überzeugt, daß eine militärische Antwort jetzt auch gegenüber der Islamischen Republik Iran absolut notwendig war.
Gleichzeitig haben die jahrelangen Proteste gegen die Justizreform (Justizputsch?) der Regierung Netanjahu eine Zivilgesellschaft mobilisiert, die auch während des Krieges nicht verstummt ist. Selbst während die Raketen fliegen, demonstrieren Menschen im Land für demokratische Prinzipien, die Rücktrittsforderungen gegen den Premier sind ungebrochen.
Dabei fühlen sich viele Israelis selbst, wie auch Freunde Israels in der Welt zerrissen - und Skeptiker und Kritiker Israels sollten es vielleicht auch sein : Wie kann man gegen eine Regierung auf die Straße gehen – und zugleich ihre Militäroperationen als notwendig erachten? Wie ist es möglich, die Besatzung des Westjordanlands abzulehnen und gleichzeitig die Bombardierung iranischer Atomanlagen zu unterstützen?
Das Zauberwort für dieses scheinbare Paradox, für den Umgang mit komplexen Realitäten ist: Ambiguitätstoleranz.
Der Begriff wurde in der Psychologie der 1950er Jahre geprägt. Er beschreibt die Fähigkeit, mehrdeutige, widersprüchliche oder unauflösbare Situationen auszuhalten, ohne schnell zu simplifizierenden Urteilen zu greifen.
In Zeiten der Krise wird diese Fähigkeit besonders gefordert. Die Sehnsucht nach moralischer Klarheit, nach “gut” und “böse”, nach moralischer Eindeutigkeit, nach Schuldigen und Opfern ist groß und sehr menschlich. Nur - die Wirklichkeit politischer Konflikte verweigert sich einfachen Zuordnungen. Und die Forderung nach Ambiguitätstoleranz ist dann auch keine (!) Relativierung von Gewalt, sondern ein Appell zur Differenzierung. Und ja, in Zeiten moralischer Polarisierung (postkolonialer Diskurs?) ist sie ein Ausdruck intellektueller Redlichkeit.
Im Blick auf die gegenwärtige israelische Realität bringt es der Soziologe Natan Sznaider auf den Punkt: “Wir erleben keine moralische Klarheit, sondern moralische Tragik. (...) Es ist möglich, gegen die Regierung zu sein und trotzdem für das Land zu handeln.”
Und genau so verstehen auch die Menschen in Israel, die Netanjahu scharf kritisieren, den Angriff auf iranische Raketenstellungen, Waffenfabriken und Atomanlagen, nämlich als strategische Notwendigkeit und einen Akt der Selbstverteidigung, den Versuch, das eigene Überleben zu sichern. Die Soziologin Eva Illouz schreibt: “Die Frage lautet nicht mehr, ob man gegen die Regierung Netanjahu ist. Das bin ich. Die Frage ist: Wie verteidigt man ein Land, dessen Führung man ablehnt, aber dessen Existenz man sichern muß?”
Vielleicht dazu passend dann auch die Beschreibung des Psychologen und Publizisten Carlo Strenger von Israel als einer ‚existenziellen Demokratie‘, deren politische Realitäten sich nicht in westliche Schablonen pressen lassen: “Die europäische Linke hat nie gelernt, Sicherheit als linke Kategorie zu denken. (...) Israel ist kein kolonialer Outpost, sondern ein posttraumatisches Gemeinwesen mit realen Feinden.”
In der Völkerrechtsdebatte dominiert die Auffassung, wonach grundsätzlich jede Kriegshandlung zu verurteilen ist, oft ohne Kontextanalyse. Der Politikwissenschaftler Carlo Masala kritisiert dieses Schwarz?&?Weiß-Denken: „Wichtige Fragen werden nicht gestellt, die politische Instrumentalisierung des Völkerrechts kleistert alles zu“. Er warnt davor, statt als Werkzeug zur differenzierten Analyse das Völkerrecht zu einer moralischen Keule zu instrumentalisieren.
Ambiguitätstoleranz bedeutet, daß es keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen gibt. Daß man für etwas eintreten kann, obwohl es mit anderen Überzeugungen in Spannung steht. Daß Moral nicht immer eindeutig ist. Wir brauchen Ambiguität. Und vielleicht auch Demut im Urteil über die Realitäten anderer.
Ein Dankeschön an Sinwar...?
So fürchterlich es klingt – der 7.Oktober 23 hat den Nahen Osten und dann auch die westliche Welt aus einem tiefen Schlaf geweckt. Über viel zu viele Jahre hatte man die Augen zugehalten und irgendwie gehofft, daß in der Region Nahost trotzdem alles gut gehen wird. Die dabei so zentrale und destabilisierende Rolle der Islamischen Republik Iran in der Verbreitung ihrer islamischen Revolution und ihrem Kampf um die Hegemonialvormachtstellung im Nahen Osten wurde nicht wirklich ernst genommen: Der Aufbau eines „Feuerringes“ um Israel, die Entfaltung des „schiitischen Halbmondes“ vom Iran über Iraq, Syrien und Libanon, die Entfesselung des Bürgerkriegs im Jemen, die militärische Erpressung der arabischen Länder um den Persischen Golf, der Aufbau und die Finanzierung von Hisbollah, Huthis und Hamas als verlängertere Arme des Iran war allen bewußt. Aber eben nicht wirklich. Deswegen wurde der tragische 7.Oktober 23 zu einem schrillen Weckerklingeln, das dann eine Kettenreaktion, eine Lawine losgetreten hat.
Der militärische Chef der Hamas Yachya Sinwar war bei dem Überfall auf Israel davon ausgegangen, daß nach seinem Angriff 10tausende Raketen aus dem Libanon, Iran und dem Jemen auf Israel heruntergehen und seine Infrastruktur zerstören würden, verbunden mit einem Aufstand im Westjordanland und dem militärischen Einmarsch aus Gaza und Libanon – bei einem solchen Szenario hätte Israel kaum eine Chance gehabt.
Was geschah, ist bekannt: Israel ging nach Jahren eher begrenzter Schlagabtäusche jetzt mit voller militärischer Wucht in den Gazastreifen und kämpfte die militärische Macht der Hamas nieder. Ein Jahr später fällt Hisbollah, kurz darauf das Regime Assad in Syrien. Und nachdem die Islamische Republik Iran im Mai und im Oktober 24 mit massivem Raketenbeschuß zum ersten Mal selbst in eine unmittelbare Konfrontation mit Israel eingetreten war, wurde sie damit selbst zum Kriegsziel.
Die Bedrohung Israels durch die Islamische Republik Iran hat ihre Geschichte: Gleich mit der Übernahme des Iran 1979 hatte Ayatollah Chomeini einen „Tag der Befreiung Jerusalems“ und der Vernichtung des „kleinen Satans“ Israel ausgerufen. Eine 15 Jahre später installierte digitale Uhr auf dem Palästina-Platz in Teheran zählt symbolträchtig das Ende Israels vom Jahr 2040 ausgehend rückwärts... Auch die wiederholten Androhungen einer Auslöschung Israels durch den iranischen Präsidenten Ahmadineschad wurden in Israel gehört. Es ist vielleicht eine eigene Form von Paternalismus in Kreisen der westlichen Welt, derartige Ankündigungen nicht ernst zunehmen. Offenbar ist man nicht bereit, „den Orientalen“ auch zu glauben, was diese sich selbst und der Welt öffentlich erklären.
Mit der expansionistischen Politik der Islamischen Republik Iran hatte man sich über die vergangenen 46 Jahre arrangiert, hatte damit zu leben gelernt. Die Möglichkeit einer atomaren Bewaffnung hätte allerdings eine ganz neue Dimension in das Spiel gebracht. Der Hinweis, daß doch Israel offenbar auch über Atomwaffen verfügt, weswegen es nicht verwundern dürfe, wenn andere Länder der Region diese dann ebenfalls würden haben wollen, ist naheliegend. Frankreich, England und Nordkorea haben ebenfalls Atomsprengköpfe. Es bleibt eine Frage der subjektiven Positionierung, bei welchen dieser Länder wir uns am wenigsten davon bedroht fühlen.
Die Irritation gegenüber einer möglichen atomaren Bewaffnung der Islamischen Republik Iran erklärt sich über die Analogie zum Ukrainekrieg: Trotz der offenkundigen Aggression Rußlands verhängten die westlichen Länder starke Beschränkungen für den Einsatz der von ihnen an die Ukraine gelieferten Waffen, um Putins Rußland „nicht zum Äußersten zu treiben“. Eine vergleichbare Situation für den Nahen Osten sollte sich keiner wünschen.
Völkerrecht und Angriffsverbot
Ursprünglich ist Selbstverteidigung im Völkerecht nur bei einem bereits erfolgten bewaffneten Angriff zulässig. Inzwischen gilt, daß auch ein unmittelbar bevorstehender Angriff („imminent threat“) abgewehrt werden darf. Aber was heißt "unmittelbar"? Die Position der herrschenden Meinung läuft tatsächlich darauf hinaus, daß ein Staat sich Massenvernichtungswaffen beschaffen und offen mit der Vernichtung eines anderen Staates drohen kann - und dennoch wäre es dem bedrohten Staat völkerrechtlich untersagt, einen vorbeugenden Schlag zu führen. Selbst wenn konkrete Hinweise auf Einsatzbereitschaft dieser Waffen bestehen, wäre ein Präventivschlag nach herrschender Lehre nicht zulässig, solange nicht der Angriff unmittelbar bevorsteht.
In der aktuellen Diskussion zu dem Schlag auf die iranischen Raketendepots und zentrale Anlagen des iranischen Atomwaffenprogramms stehen zwei Einschätzungen zu den Intentionen der Islamischen Republik im Raum:
Die eine Seite resümiert das politische Verhalten der Islamischen Republik Iran über die vergangenen 46 Jahre, seine Subversion der Region, verdeckte Atomwaffenprogramme, koordiniertes Vorgehen/Angriffen über Proxys (Hamas, Hisbollah, Huthis), staatlich gedeckte Terrornetzwerke, explizite Vernichtungsdrohungen und eine ideologisch fundierte Gewaltbereitschaft.
Die andere Seite sieht keine eindeutigen Hinweise darauf, daß der Iran tatsächlich „die Bombe“ plant. Und auch nicht darauf, daß sein erweitertes Raketenprogramm auf Israel abzielt. Deswegen war auch keine unmittelbare Bedrohungssituation gegeben, die einen Präventivschlag rechtfertigen könnte. Dafür wird der Angriff auf die Islamische Republik Iran diese jetzt dazu bringen, eine Entscheidung für (!) ein solches Waffenprogramm zu fällen, um zukünftige Aggression auf sein Territorium zu verhindern.
Wir können fragen, welche Bedeutung eine mögliche atomare Bewaffnung der Islamischen Republik Iran überhaupt haben kann. Von sicherlich vielen wird das Geschehen in der Region Nahost als eher fern erfahren. Was dann vielleicht so nicht stimmt: Der Persische Golf ist Ausgangspunkt für sehr viel Öl in die Welt, und rund um die Arabische Halbinsel liegen entscheidende Seewege für internationale Containerfracht- oder Massengüter. Was in der Region passiert, wer welche Waffen besitzt, beeinflußt nicht nur unmittelbare Sicherheit und politische Strukturen, sondern auch westliche Lebensqualität.
Seit rund 25 Jahren bieten unterschiedliche Experten, Wissenschaftler und Geheimdienste unterschiedliche und oft widersprüchliche Analysen dazu, in welchem Stadium sich die Entwicklung des iranischen Atomprogramms befunden hat/befindet. Was von keiner Seite bestritten wird – es gibt ein solches Programm. Und offenkundig handelt es sich dabei um mehr als ein Projekt der rein zivilen Nutzung von Atomernergie, worauf die breit und oft tief versteckt im Lande verteilten Einrichtungen hinweisen. Kontrovers wird auch diskutiert, ob die Islamische Republik „die Bombe“ oder nur „die Option zur Bombe“ anstrebt. Das im Juli 2015 und nach 13 Jahren des Atomstreites beschlossene „Atomabkommen“ mit der Islamischen Republik war deswegen in seinem Wesen eher ein Memorandum gegenüber den iranischen Atomplänen (mit Kontrolle durch die Internationale Atombehörde bis 2025), das eine endgültige Entscheidung über die atomare Zukunft des Iran verschieben sollte. Gerne hätten die westlichen Länder eine solche Entscheidung weiter vertagt, aber im Grunde scheinen alle gewußt zu haben, daß etwas passieren mußte. EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas, EU-Kommssionspräsidentin Ursula von der Leyen, Premier Keir Starmer erklären dann auch: Iran darf keine Atombombe haben. Und Ministerpräsident Friedrich Merz hat es damit eigentlich nur auf den Punkt gebracht: Die Israelis machen die Drecksarbeit für die Welt...
Catch 22 - Hamas und der Kampf um die Bilder
Das 12tägige Intermezzo der Auseinandersetzung mit dem Iran hat das Thema Gazastreifen kurzfristig überschattet, um jetzt erneut in den Blick zu rücken. Während die ganze Welt wie auch die Israelis selbst die militärischen Leistungen der israelischen Armee, seiner Luftwaffe und seinen Geheimdiensten gegenüber dem Iran bestaunen, fragen sich die gleiche Welt und viele Menschen in Israel, was die IDF weiterhin im Gazastreifen sucht, mit den täglichen Verlusten von Soldaten, der Nichtbefreiung der Geiseln und den schrecklichen Opfern unter den Menschen im Gazastreifen. Dabei ist es eine fast müßige Diskussion, ob es sich bei dem ziellosen Vorgehen der israelischen Armee auf der einen, dem sinnlosen Opfern der Zivilbevölkerung im Gazastreifen durch Hamas auf der anderen Seite jetzt um Völkermord oder Kriegsverbrechen handelt – es bleibt furchtbar!
Tatsächlich hatten die führenden Militär- und Sicherheitsexperten des Landes schon vor über einem Jahr deutlich gemacht, daß alle militärischen Ziele gegenüber der Hamas im Gazastreifen erreicht, Verhandlungen mit der Hamas und die Befreiung der israelischen Geiseln möglich und sinnhaft seien. Was sich mit dem Gefühl einer überwältigenden Mehrheit der israelischen Bevölkerung verbindet, die die Befreiung der Geiseln als wichtiger ansieht als weitere militärische Schritte gegen die Hamas. Insofern ist die Frage nach den politischen Motiven der Regierung gegenüber der Fortsetzung des Krieges gegen Hamas – mehr als gerechtfertigt.
Gleichzeitig befindet sich Israel - neben der grundsätzlichen und immer wieder erneut nicht auflösbaren Frage überall auf der Welt nach der Erpreßbarkeit von Staaten durch Geiselnahmen - in einem ‚Catch 22‘, nämlich einem Kampf um die Bilder und das Narrativ: Sollte es der Hamas gelingen, am Ende des Tages Bilder entstehen zu lassen, die ihre vernichtende Niederlage mit dem so entsetzlichen Blutzoll unter der Zivilbevölkerung in einen Akt des erfolgreich heroischen Widerstandes verwandelt, wäre nicht nur für Israel selbst, sondern auch für die arabischen Länder der Region ein nächstes Aufbegehren fundamentalistischer Kräfte vorprogrammiert. Was keiner wollen kann. Der Krieg im Gazastreifen darf nur mit einer Kapitulation der Hamas enden. Weswegen die dramatischen Inszenierungen der Übergabe von Geiseln Anfang des Jahres desaströs waren, weil die gezeigten Bilder zu suggerieren schienen, daß Hamas gewonnen und die Oberhand behalten hat.
Gegenüber den zahlreichen Stimmen, die Israel für das Leiden der Menschen im Gazastreifen verantwortlich machen, fehlen die gleichen Stimmen gegenüber Hamas, ihren Kampf „bis zum letzten Palästinenser“ aufzugeben. Der Krieg in Gaza wäre in dem Augenblick vorbei, wo Hamas die weiße Fahne hißt, die israelischen Geiseln freigibt und den Gazastreifen in ehrenvollen Abzug verläßt.
Perspektiven
Nach dem Schrecken des 7.Oktober 23 und der Auseinandersetzung mit der Islamischen Republik Iran gibt es Raum auch für neuen Optimismus. Dabei ist nicht die Frage, ob Hisbollah, Hamas oder ihr Kopf, die Islamische Republik Iran ihre jeweiligen Ziele (islamistisches Palästina, schiitische Hegemonialvormachtstellung) aufgeben werden – sie werden es nicht. Ideologien lassen sich nicht wegbomben. Aber - man kann den Ideologen zumindest die Waffen wegnehmen. Und auch das Geld. Was im allgemeinen zu einer Beruhigung der Gesamtlage führt und neue Allianzen und politische Entwicklungen ermöglicht. Wie der Islamische Staat oder auch Al-Quida haben gegenwärtig Hisbollah und Hamas als Organisationen militärisch und finanziell ihr unmittelbares Bedrohungspotential verloren. Und auch die Islamische Republik Iran wird nach dem jüngsten Schlagabtausch verstärkt mehr nach innen schauen müssen: Der Rückhalt für die Mullahs ist auf einem Tiefpunkt, der innenpolitische Druck weiterhin groß. Die Menschen im Iran verstehen immer weniger, warum viele Milliarden ausgegeben werden für ein teures Atomwaffenprojekt und ballistische Raketen gegen ein entferntes Israel oder um militärische Organisationen wie Hamas, Hisbollah oder Huthis zu unterhalten - während im eigenen Land die Strom- und Wasserversorgung nicht sichergestellt ist. Gleichzeitig erschweren Sanktionen den legalen Ölverkauf, wichtige Finanznetzwerke sind unterbrochen, die Inflation ist hoch - dem Land gehen die Optionen aus. Ob es im Iran zu einem innenpolitischen Wechsel kommen wird, muß offen bleiben. Trotz des Schulterschlusses der Bevölkerung gegenüber den israelischen Angriffen hat der Widerstand gegen die Mullahs nicht nachgelassen, was das Regime zu immer härteren Repressionen treibt. Die wahrscheinlich irgendwann nicht mehr aufrecht zu erhalten sein werden.
Die Islamische Republik Iran hatte den Nahen Osten über Jahrzehnte in einem Zustand der politischen Unterwerfung gehalten. Die wohl eigentliche Bedeutung des Waffengangs zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran liegt daher nicht allein in der kürzeren oder längeren Verzögerung ihres Raketen- und Atomwaffenprogramms, sondern vor allem auch - in der Enttarnung ihrer militärischen Schwäche. Das Gespenst Iran hat seinen Schrecken verloren. Weswegen sich die Region vielleicht endlich aus seiner Schreckstarre wird lösen können:
- Nach über 40 Jahren der Kontrolle durch die iranisch finanzierte und gesteuerte Hisbollah kann der Libanon zum ersten Mal etwas aufatmen. Ob es zu einer völligen Entwaffnung der Hisbollah kommt, läßt sich nicht gegenwärtig sagen, aber weniger Geld aus dem Iran bedeutet weniger Menschen, die sich in der Hisbollah engagieren.
- Mit dem Sturz von Präsident Assad konnte sich Syrien von dem iranischen Einfluß lösen und versucht gegenwärtig, sich innenpolitisch neu zu stabilisieren. Gegenüber dem starken Einfluß auch durch Rußland zeichnet sich eine Annäherung an den Westen ab. Die Möglichkeit, sich in die Abrahams Abkommen zu integrieren, steht zumindest im Raum.
- Mit dem Sturz von Saddam Hussein wurde der iranische Einfluß auf den mehrheitlich schiitischen Irak immens, sogar energiepolitisch war der Irak abhängig vom Iran. Iranisch gelengte schiitische Milizen bekämpften amerikanische Truppen in der Region und beteiligten sich an Raketenangriffen auf Israel. Die Einbuße des Ansehens und die Schwächung der Islamischen Republik Iran bietet Anlaß zu der Hoffnung, daß es zu einer unabhängigen politischen Führung und damit einer innenpolitischen Stabilisierung des Irak kommen könnte.
- Die Demontage erst von Islamischem Staat und Al-Quida, jetzt von Hisbollah und Hamas wird möglicherweise Ägypten, Jordanien und verschiedene Golfstaaten ermutigen, fundamentalistische Bewegungen im eigenen Land unter Kontrolle zu bringen. Der von diesen ausgeübte Terror wird deswegen nicht aufhören, möglicherweise sogar ansteigen oder mit Anschlägen im Westen kompensiert, aber als Organisationen haben sie ohne iranische Unterstützung an Kraft verloren. Auch das kann hoffnungsvoll stimmen.
- Seit seiner Gründung 1988 hatte Hamas jeden Schritt zu einem Nebeneinander von Israel und einem Staat Palästina konterkariert, mit Terroranschlägen, Selbstmordattentaten und durch die gewaltsame Übernahme des Gazastreifens mit Angriffen von dort. Nach dem militärischen Fiasko jetzt und dem Wegbrechen der militärischen und finanziellen Ausstattung durch die Islamische Republik Iran, ist Hamas als Organisation geschwächt – und zumindest im Gazastreifen auch diskreditiert.
- Die Frage nach der politischen Zukunft der Palästinenser muß so oder anders gelöst werden. Ohne Hamas hat eine neu aufgestellte Palästinensische Autonomiebehörde wesentlich bessere Chancen, weitere Schritte auf eine wie auch immer ausgestaltete Zweistaatenlösung auf den Weg bringen zu können. Allerdings warten wir dabei auch auf eine neue politische Führung in Israel selbst.
- Israel hat sich mit dem spektakulären Einsatz im Iran, der weit über die schon dramatische Zerschlagung der Hisbollah hinausging, eine starke Position für weitere wirtschaftliche und militärische Einbindung in der Region verschafft.
- Nachdem die USA über längere Jahre das Feld des Nahen Ostens weitgehend anderen Kräften überlassen hatte, sind sie – gegenüber der Schwächung Rußlands durch den Ukraine-Krieg sowie dem Fall des Regimes Assad – über die Vermittlung der Abraham Abkommen, dem Besuch von Donald Trump in den Golfstaaten und jetzt dem Einsatz im Iran wieder zu einer, vielleicht sogar der entscheidenden Größe im Nahen Osten geworden.
Unabhängig davon, wie jeder für sich das Geschehen seit dem 7. Oktober 23 und bis zu der jüngsten Auseinandersetzung mit der Islamischen Republik Iran einschätzt oder vielleicht auch bewertet - wir befinden uns in einer „historischen“ Zeit, der Nahe Osten ist nicht mehr, was er vorher war. Und könnte, was nach den jüngsten Ereignissen zumindest in die Möglichkeit des Vorstellbaren rückt, vielleicht schon bald zu einer bedeutenden Kraft im Welthandel werden. Projekte wie der Wirtschaftskorridor Indien-Naher Osten-Europa (IMEC) verändern die globalen Handelswege und werden den wirtschaftlichen Schwerpunkt der Region von Öl und Gas hin zu Handel, Infrastruktur, Technologie und Finanzen verlagern.
Das wird Auswirkungen auch auf Europa haben.
Jerusalem, Juni 2025