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Rede anlässlich von „Laut gegen Rechts“ am 10. Februar 2024 in Hameln

Von Bernd Gelderblom

Am 10. Februar 2024 trug Bernd Gelderblom den folgenden Beitrag auf der Veranstaltung „Laut gegen Rechts“ in Hameln vor. Wir finden ihn lesenswert!

Anlässlich von „Laut gegen Rechts“ im Bürgergarten am 10. Februar 2024

Von Bernd Gelderblom

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

So lapidar brachte es Primo Levi, ein ehemaliger Auschwitz-Häftling, auf den Punkt.

Am 28. März 1942, einem Sonnabend, spielte sich auf dem Hamelner Pferdemarkt, dem Ort, an dem diese Demonstration ursprünglich hatte stattfinden sollen, folgende Szene ab:

Dort hielt am frühen Nachmittag ein Bus. Eine gut zwölfköpfige Gruppe, vor allem Frauen, auch ein Kind, hatte vor dem „Judenhaus“ Pferdemarkt 8 (heute Cafe Relax) gewartet. Gesenkten Hauptes, den Judenstern an der Kleidung, eine Wolldecke übern Arm, einen Koffer in der Hand – so bestiegen die Menschen den Bus, der sie nach Hannover bringen würde. Geschildert hat mir diese Szene eine Frau, die vom Nachbarhaus aus zugeschaut hatte. Es gibt einen zweiten Augenzeugen, einen ca. 60 Jahre alten Mann. Er wollte einem Hamelner Juden, der nach London hatte fliehen können, nach Kriegsende beschreiben, unter welchen Umständen seine Eltern deportiert wurden.

„Nie in meinem Leben kann ich den Augenblick vergessen, wie ein Autobus vor dem Hause Katz am Markt (= dem damaligen „Judenhaus“) hielt und all die armen alten Menschen fort holte. … Ich hätte am liebsten los schreien mögen, aber es wäre doch vergebens gewesen, wir konnten nur die Fäuste ballen. …“

Mit dem folgenden Schreiben hatte der damalige Hamelner Bürgermeister Emil Busching die Juden der Stadt zwei Tage zuvor informiert. Zitat:

„Sie haben sich ab Freitag, den 27. März 1942, 13 Uhr, in Ihrer Wohnung aufzuhalten und dürfen diese nicht mehr verlassen. 1.) Sie haben zu der bevorstehenden Evakuierung sofort einen Koffer … mit Bekleidungs- und Ausrüstungsstücken … fertig zu packen … . 2.) Essgeschirr mit Löffel (ohne Gabel und Messer). … 4.) Für 6 Tage Verpflegung. … 6.) Weiter haben Sie sämtliches Bargeld, Wertpapiere, Sparkassenbücher, … Schmucksachen … und dergl. bei der Evakuierung gesondert verpackt mit einer Aufstellung in doppelter Ausfertigung bei sich zu führen. … 7.) Besonders weise ich darauf hin, dass jeder Verkauf, jedes Verschenken oder Verleihen für beide Teile bei strengster Bestrafung verboten ist. 8.) Dieses Schreiben haben Sie bei der Evakuierung unterschrieben abzuliefern.“

Zitatende!

Hamelner Polizisten nahmen die Menschen fest, wobei sie in Einzelfällen Gewalt übten, und schafften sie zum Pferdemarkt. In Hannover mussten sie stundenlang in der Kälte warten und eine Leibesvisitation über sich ergehen lassen. Wertsachen und Lebensmittel wurden einkassiert. Drei Tage später, am 31. März, fuhr ein mit gut 1.200 Personen vollbesetzter Zug vom Bahnhof Fischerhof ins überfüllte Warschauer Ghetto. Im Juli begannen die Deportationen in die Vernichtungslager.

Vier Monate nach der ersten Deportation aus Hameln folgte im Juli ein weiterer Transport, erneut vom Pferdemarkt, dieses Mal in das „Altersghetto“ Theresienstadt. Er galt den jüdischen Menschen, die über 65 Jahre alt waren. Seitdem war Hameln „judenfrei“.

Es gibt noch einen dritten Augenzeugen. Hamelns Bürgermeister Emil Busching gab im Verhör durch den Staatsanwalt 1947 zu Protokoll:

„Mit der Aktion zur Wegschaffung der letzten Juden bin ich dienstlich als Bürgermeister nicht befasst worden. Ob auch in Hameln die Juden weggeschafft worden sind, weiss ich nicht. Ich sah lediglich mal einen kleinen Omnibus voll Leute auf dem Pferdemarkt … stehen, dessen Insassen mir auffielen, weil sie ein trauriges Gesicht machten. … Auf meine Frage wurde mir erwidert, dass es sich um Juden aus Bad Pyrmont handele, die nach Lublin verschickt würden.“

Busching wurde vom Gericht freigesprochen. Dass er sich derart dreist aus seiner Verantwortung herauslügen konnte, ist ein Armutszeugnis der deutschen Justiz.

Ich war lange so naiv gewesen, anzunehmen, die Deportationen hätten im Schutz der Dunkelheit stattgefunden. Nein, sie fanden tagsüber in aller Öffentlichkeit statt – das Regime schämte sich ihrer nicht, im Gegenteil. Es nahm bewusst die Bevölkerung in Mithaftung: Ihr seid dabei gewesen!

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

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