Theaterprojekt der Ehemaligen Synagoge geht endlich an den Start
Zwischen Stadthagen und Slupca Verständigung durch Konfliktstoff: Moderne Theaterprojekte entstehen in deutsch-polnischer Zusammenarbeit
Zwei moderne Schultheaterprojekte entstehen aktuell in Zusammenarbeit zwischen dem Förderverein Ehemalige Synagoge aus Stadthagen, dem Ratsgymnasium und einer Schule im polnischen Slupca (ca. 75 km östlich von Poznan).
Die Arbeit war bisher corona-bedingt nicht möglich. Nun aber beginnen die Arbeiten auf deutscher und polnischer Seite.
Den Bericht von Volkmar Heuer-Strathmann geben wir hier zum Lesen weiter.
Theaterprojekt der Ehemaligen Synagoge
Zwischen Stadthagen und Slupca Verständigung durch Konfliktstoff: Moderne Theaterprojekte entstehen in deutsch-polnischer Zusammenarbeit
von Volkmar Heuer-Strathmann / in SN 01-06-2021
Zwei moderne Schultheaterprojekte entstehen aktuell in Zusammenarbeit zwischen dem Förderverein Ehemalige Synagoge aus Stadthagen, dem Ratsgymnasium und einer Schule im polnischen Slupca. Ob „Haltestelle Izbica“ oder „Vogelschiss und Fliegenklatsche“ - beide nehmen sich auf unterschiedliche Art des Themas Nationalsozialismus an.
Für den Förderverein Ehemalige Synagoge gehören moderne Schultheaterprojekte zur Bildungsarbeit im Landkreis. In Stadthagen konnte man dabei an die schon lange bestehende Kooperation des Ratsgymnasiums (RGS) mit dem Lyzeum in der polnischen Stadt Slupca anknüpfen.
Zurzeit wird an zwei großen Projekten gearbeitet. Der Fortgang der Arbeit, so der Vereinsvorsitzende Andreas Kraus, hänge natürlich von der Pandemie-Entwicklung ab. Kraus war es schon 2019 gelungen, eine Förderung durch die Niedersächsische Gedenkstättenstiftung zu erreichen, die sich auf mehrere Jahre erstreckt. Die notwendigen Mittel stellt die Klosterkammer Hannover zur Verfügung.
„Haltestelle Izbica“: Leidensgeschichte eines jüdischen Mädchens
In Slupca beginnt die Erarbeitung des Stücks „Haltestelle Izbica“ nach den Sommerferien. Die Leitung liegt in den Händen der Theaterpädagogin Marzena Wojtkowiak.
Dass das Stück in einer deutschen und einer polnischen Fassung vorliegt, ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Volkmar Heuer-Strathmann und Ewa Bacia. „Sie begann als Übersetzerin, sie wurde zur Ko-Autorin“, sagt der pensionierte Pädagoge über seine Bückeburger Partnerin, die sich als habilitierte Sozialwissenschaftlerin bisher primär den Grundsatzfragen der Demokratie gewidmet hat.
In Kooperation mit Beata Czerniak, der Leiterin des Museums in Slupca, war es möglich, die Leidensgeschichte eines jüdischen Mädchens namens Danka Rozenthal anhand von Briefen und Gedichten szenisch zu entfalten. „Authentische Tagebuchnotizen ihrer Freundin Grazyna Harmaciska boten eine günstige Materiallage“, sagt Bacia.
Mit dem Titel wird an das Transit-KZ in Izbica erinnert, wo die Spuren der Jüdin enden. Alles deutet auf Deportation nach Belzec hin, also in ein deutsches Konzentrationslager auf polnischem Boden.
Verständigung durch Konfliktstoff
Das Stück selbst hat einen zweiten Schwerpunkt in der Erinnerungspädagogik in Polen. Jugendliche von heute kommen auf der Bühne zu Wort und streiten dabei auch über das Erbe der Besatzungszeit, speziell über die Fragen, die der Holocaust aufwirft, in Polen anders als in Deutschland. Schüler aus dem Nachbarland seien (auch im Stück) zu Gast, erklären die Autoren.
Einzelne deutsche Vorfahren waren womöglich nach dem Überfall am 1. September 1939 auch in Polen, wähnten sich aber als „Herrenmenschen“ im „Warthegau“. Das birgt Konfliktstoff, bietet aber, so die Autoren, auch die Möglichkeit, durch Gespräche eine tiefere Verständigung zu erreichen. Beim Gegenbesuch 2022 wartet die deutsche Fassung, die auch den jungen Polen Spielraum bietet.
Damit knüpft man an die wertorientierte Bildungsarbeit in der Synagoge an. Wie in früheren Jahren hat sich Dietmar Post für das Austauschprojekt begeistern lassen. Gemeinsam mit dem aus Stadthagen stammenden Musiker Henry Brandtstetter widmet er sich den Herausforderungen des Materials, um später in Polen und in Deutschland mit Schülern daran weiterarbeiten zu können.
Der Rap „Kinder der Welt“ hat beide sofort angezogen. Getanzt wird im Verlauf der Handlung auch, „vor Schreck oder aus Lust“, wie Heuer-Strathmann erklärt, der selbst gespannt ist, wie sein Song „Deutscher Gruß“ choreografiert wird. Bei Ewa Bacia gab es anscheinend auch etwas Nachhilfe in polnischer Geschichte.
Zweites Stück nimmt „Identitäre“ in den Fokus
Die zweite Produktion, die am RGS allmählich Fahrt aufnimmt, hat den Titel „Vogelschiss und Fliegenklatsche“. Autor Volkmar Heuer-Strathmann hat sich „aus gegebenem Anlass“ für einen markanten Untertitel entschieden: „Das war kein Lachgas!“ Konkret geht es um die in Kulmhof/Celmno erprobte „deutsche Vergasertechnik“. Man arbeitete tatsächlich zunächst mit Lkw-Abgasen, so der Autor, der 2019 die dortige Gedenkstätte gemeinsam mit anderen Schaumburgern besucht hat.
Wie sich die Theaterpädagogin Christiane Scheeren mit ihren Schülern am RGS des Stoffes – der ebenfalls in der NS-Zeit und in der Gegenwart einer Lise-Meitner-Gesamtschule angesiedelt ist und besonders den „Identitären“ und ihrem Weltbild gilt – annimmt und die bereits vollendeten Kompositionen der beiden Musiker aufgreift, davon wird noch zu berichten sein.
Die Stücke, betont Andreas Kraus, böten auch anderen Schulen Gelegenheit, in Zeiten eines zunehmenden Antisemitismus theaterpädagogisch aktiv zu werden. r