Verbrechen und Migration: Kriminologen fordern sachliche Debatte
Kriminologen und Strafrechtler der Leibniz Universität Hannover warnen davor, Gewalttaten wie in Aschaffenburg politisch zu instrumentalisieren. Kriminalität sei keine Folge der Staatsangehörigkeit. Sie haben eine Erklärung vorglegt, die von vielen Kolleginnen und Kollegen unterzeichnet wurde.
In einer schäbigen Weise werden in den aktuellen politischen Diskussionen Anschläge - wie zulezt in Aschaffenburg - und Migration in einen direkten Zusammenhang gesetzt. Dies ist diskriminierend für Ausländer, die in Deutschland leben, für Flüchtlinge und Asylsuchende und wird dem Problem der Kriminalität und den damit zusammenhängenden Problemen in unserer Gesellschaft nicht gerecht.
Die WissenschaftlerInnen mahnen in ihrer Erklärung eine sachgerechte Auseinandersetzung an. Wir geben hier den Text der Erklärung (ohne die Liste der UnterzeichnerInnen) wieder. Weiter unten bieten wir den Text (mit UnterzeichnerInnenloiste) zu Download an und verweisen dazu noch auf Material der Bundeszentrale für politische Bildung und eine Meldung des NDR.
Stellungnahme: Für eine evidenzbasierte, rationale Kriminalpolitik
Die aktuelle gesellschaftliche Debatte über Taten wie die Tötung zweier Menschen und Verletzung zweier weiterer Menschen in Aschaffenburg ist verständlicherweise emotional aufgeladen. Jedes Mitgefühl für die Opfer und ihre Angehörigen ist nachvollziehbar und wird von uns geteilt.
Als Strafrechtswissenschaftler:innen sehen wir uns verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass die Debatte aber darüber hinaus von populistischen Instrumentalisierungen und verzerrten medialen Darstellungen geprägt ist. Statt evidenzbasierter Erkenntnisse dominieren derzeit emotionale Reaktionen und politische Reflexe. Ein sachlicher, wissenschaftlich fundierter Umgang mit Kriminalität ist jedoch essenziell, um wirksame, nachhaltige und verfassungskonforme Lösungen zu entwickeln.
Beispielsweise zeigt die Forschung, dass soziale Integration eine der wichtigsten Präventivmaßnahmen gegen Kriminalität ist. Dennoch wird als Reaktion auf die Tat in Aschaffenburg aktuell der Familiennachzug für Geflüchtete infrage gestellt, obwohl dies Vereinsamung und soziale Instabilität verstärken kann, was wiederum das Risiko von Kriminalität erhöhen könnte. Über Herausforderungen bei Integration und Kapazitäten muss im ausländerrechtlichen Kontext diskutiert werden, die wahren Probleme benannt und damit Lösungen erreichbar gemacht werden. Eine Verknüpfung mit Straftaten dagegen erschwert an dieser Stelle eine rationale Auseinandersetzung.
Als weiteres Beispiel für problematische Forderungen sei die genannt, Personen mit Aufenthaltsberechtigung nach der Begehung von zwei Straftaten abzuschieben – selbst wenn es sich dabei um Bagatelldelikte wie das Schwarzfahren nach § 265a StGB handelt. Nicht nur ist etwa die Strafwürdigkeit dieser und anderer vergleichbarer Delikte ohnehin bereits umstritten, eine derartige Form der Sanktionierung ist auch mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fragwürdig.
Weiterhin sei darauf hingewiesen, dass Kriminalstatistiken oft unsachgemäß genutzt werden. Ein häufiges Problem ist die Gleichsetzung registrierter Straftaten mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung. Polizeiliche Kontrollmechanismen und veränderte Anzeigebereitschaft, aber auch andere Faktoren, beeinflussen die Zahlen oft stärker als eine reale Zunahme der Kriminalität oder eine subjektive Wahrnehmung von Kriminalität, gerade auch mit Blick auf die Medienberichterstattung und die Debatten in den sozialen Medien. Selektiv ist oft die Darstellung bestimmter Delikts- und Personengruppen, wie es sich in der derzeitigen Debatte spiegelt. Kriminalität ist aber keine Folge der Staatsangehörigkeit.
Eine sachgerechte Analyse muss kontextbezogen sein, und die Suche nach Lösungen bedarf auch immer einer evidenzbasierten Ursachenforschung.
Wir fordern deshalb eine durch Rationalität und Evidenz geprägte Kriminalpolitik. Die Debatte sollte sich von populistischen Verzerrungen lösen und wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen.
Dazu gehören:
1. Eine rationale, empiriebasierte Analyse
2. Ein sachlicher Umgang mit Kriminalstatistiken
3. Die Berücksichtigung kriminologischer Erkenntnisse bei Gesetzesvorhaben
4. Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit im Strafrecht
5. Die Trennung von Straf- und Aufenthaltsrecht
Eine evidenzbasierte, verfassungskonforme Kriminalpolitik ist unabdingbar, um sowohl Sicherheit als auch Rechtsstaatlichkeit nachhaltig zu gewährleisten.