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Wachsender Antisemitismus in Schaumburg - Bericht in den Schaumburger Nachrichten

Juliane Schwarz berichtet: Seit dem 7. Oktober 2023 häufen sich Fälle von Antisemitismus - in der Öffentlichkeit generell und auch in Schulen. Wie soll Wissen über den Holocaust vermittelt werden? Drei Schaum-burger, die sich mit der jüdischen Geschichte und dem jüdischen Leben auskennen, haben Vorschläge.

Zum Download: 2025-06-12_Schaumburger_Nachrichten_12_06_2025_k_antisemitismus_shg_Es_reicht_nicht_den_15_T.pdf

„Es reicht nicht, den 15. Trauerkranz hinzulegen”
Wachsender Antisemitismus in Schaumburg: Wie soll Wissen über den Holocaust vermittelt werden?
Antisemitische Beleidigungen sind auch an Schulen in Schaumburg immer wieder Thema.
VON JULIANE SCHWARZ
Seit dem 7. Oktober 2023 häufen sich Fälle von Antisemitismus - in der Öffentlichkeit generell und auch in Schulen. Wie soll Wissen über den Holocaust vermittelt werden? Drei Schaum-burger, die sich mit der jüdischen Geschichte und dem jüdischen Leben auskennen, haben Vorschläge.

LANDKREIS. „Heil Hitler"-Sticker in Chats, ein Hitlergruß im Schulflur, eingeritzte Hakenkreuze und Schiller, die sich lautstark mit den Worten „Du Jude!" beschimpfen: All das sei nicht irgendwo passiert, sondern an einer weiterführenden Schule in Schaumburg, berichtet eine Schulleitung, die angesichts des sensiblen Themas anonym bleiben möchte, gegenüber unserer Zeitung.
Antisemitische oder rechtsextremistische Äußerungen scheinen spätestens seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wieder salonfähig geworden zu sein und sind an vielen Schulen Alltag. Ende April berichtete die „Neue Westfälische", wie akut das Problem in Schulen in Ostwestfalen-Lippe sei, sprach dazu unter anderem mit Schulleitern, Lehrkräften und Extremismus-Experten. Eine Erkenntnis: Viele Tabus gelten nicht mehr.

In Schaumburg seien im vergangenen Jahr sieben antisemitische Straftaten registriert worden. Das teilt die Polizeidirektion Göttingen, zu der die Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg gehört, auf Anfrage mit. Das ist der höchste Wert seit 2021, damals gab es 16 solcher Fälle.

Zwar hat sich 2024 keine dieser Taten an einer Schule ereignet, aber: Dass sich Vorfälle von Antisemitismus an Schaumburger Schulen seit dem 7. Oktober 2023 gemehrt hätten, hätten ihr Lehrkräfte bestätigt, sagt Lena Sebening. Sie ist die didaktische Leiterin des Stadthäger Vereins ehemalige Synagoge. „Dinge werden wieder sagbar. Das gab es schon: Auch auf frühere Konflikte folgte immer eine Welle antisemitischer Vorfälle. Aber das Tempo ist neu." Der 7. Oktober habe Munition geliefert, meint auch Friedrich Lenz, Beisitzer im Verein und Kreisvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Die beiden sind überzeugt, dass die sozialen Medien daran einen großen Anteil haben. Martina Jalowaja, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bad Nenndorf, sagt sogar, Social Media sei eine Katastrophe. Hetze, Hass und Falschinformationen über den Holocaust und das Dritte Reich erreichten die Schüler, bevor sie mit dem Thema in der Schule konfrontiert würden. „Das kommt sehr spät, erst in der neunten Klasse", sagt Sebening. Lenz, der 37 Jahre Geschichtslehrer war, weiß: „Mit dem Thema konnte man die Schüler immer packen." Ihr Interesse sei grundsätzlich da, aber es fehle an Faktenwissen.

„Viele Schüler haben keine direkte Betroffenheit mehr, zum Beispiel durch Großeltern, die die Zeit miterlebt haben", führt Sebening aus. Hinzu komme, dass Kinder mit Migrationsgeschichte häufig aus Teilen der Welt kämen, in denen der Holocaust weniger präsent sei als in Deutschland. Und: Immer mehr Zeitzeugen stürben und könnten ihre Geschichte nicht mehr selbst erzählen.

Dass sich der wachsende Antisemitismus bei Weitem nicht nur im schulischen Umfeld zeige, weiß Jalowaja aus eigener Erfahrung. Die Vorsitzende berichtet, dass viele Gemeindemitglieder Angst hätten und seltener zu Veranstaltungen kämen. „Zum Sabbat-Gottesdienst kamen früher 30 bis 35 Leute. Heute sind es zehn." Kürzlich seien die Fensterscheiben des Gemeindesitzes mit rohen Eiern beworfen worden. Ständig stehe man unter Polizeischutz.

Jalowaja weiß, dass viele jüdische Bürger Angriffe auf sie gar nicht erst meldeten. Sie be obachtet eine Tendenz zur Assimilation: „Viele Juden versuchen, soweit es geht, nicht als solche erkenntlich zu sein." Das Wort „Jude" werde inzwischen auch als Schimpfwort gegen ukrainische Geflüchtete verwendet, die sie betreue.

Damit Kinder und Jugendliche mit Menschen in einer Welt leben wollten, die anders seien als sie, sei Prävention und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben essenziell, sagt Sebening. Junge Menschen ohne Perspektiven, die das Gefühl hätten, nicht dazuzugehören, seien besonders empfänglich für rechtsextremistische Ideen.

„Dass Menschen verschieden sind, sollte schon lange, bevor erstmals über den Holocaust gesprochen wird, in den Schulen thematisiert werden", fordert Sebening. Außerdem müsse den Schülern ein tieferes Verständnis dafür vermittelt werden, warum es noch immer wichtig sei, über den Holocaust zu lernen - und wie es überhaupt so weit habe kommen können. „Die Geschichte beginnt vor 1939, sagt sie.

Schulen müssten sich öffnen, an Orte gehen, an denen der Holocaust begreifbar sei, oder alternativ Menschen in die Schulen holen, die darüber berichten könnten. „Es reicht nicht, den 15. Trauerkranz hinzulegen", sagt Sebening.

Die Aufklärung über den Holocaust sei ein Riesenprojekt. Dazu gehöre auch, Medienkompetenz zu lehren. Jalowaja hat noch einen anderen Wunsch: „Ich als Jüdin möchte nicht nur mit dem Holocaust in Verbindung gebracht werden", sagt sie. Es müsse auch um die jüdische Kultur gehen.

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